Erste Helvetische Verfassung

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Autor: Peter Ochs
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Titel: Die erste helvetische Verfassung vom 12. April 1798
Untertitel:
aus: Actensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik
Herausgeber: Johannes Strickler
Auflage:
Entstehungsdatum: 1797
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Stämpfli
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Erscheinungsort: Bern
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Originaltitel: Helvetische Verfassung
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erste Verfassung der Helvetischen Republik 1798.
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Die Helvetische Verfassung aus dem Jahr 1798 war die erste Verfassung auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Der lose Staatenbund der Alten Eidgenossenschaft wurde damit in einen zentralistischen Einheitstaat nach französischem Vorbild verwandelt. Das von Peter Ochs verfasste und vom französischen Direktorium geprüfte Dokument entstand 1797/98 und wurde den bisher souveränen Kantonen der Eidgenossenschaft von Frankreich aufgezwungen. Es bildete die Rechtsgrundlage der Helvetischen Republik. Der Text orientierte sich stark an der französischen Direktorialverfassung. Die hier aufgelistete Einteilung der Kantone wurde schon im März 1798 revidiert. Mit dem Staatsstreich vom 7. Januar 1800 trat die Verfassung de facto wieder außer Kraft. 1803 ersetzte die Mediationsakte die Helvetische Verfassung.



[567]
Erster Titel.
Haupt-Grundsätze.

[1]1. Die helvetische Republik macht einen unzertheilbaren Staat aus.

Es giebt keine Grenzen mehr zwischen den Cantonen und den unterworfenen Landen noch zwischen einem Canton und dem andern. Die Einheit des Vaterlandes und des allgemeinen Interesse’s vertritt künftig das schwache Band, welches verschiedenartige, außer Verhältnis ungleich große, und kleinlichen Localitäten oder einheimischen Vorurtheilen unterworfene Theile zusammenhielt und auf Gerathewohl leitete. Man verspürte nur die ganze Schwäche einzelner Theile; man wird aber durch die vereinigte Stärke Aller stark sein.

2. Die Gesamtheit der Bürger ist der Souverän oder Oberherrscher. Kein Theil und kein einzelnes Recht der Oberherrschaft kann vom Ganzen abgerissen werden, um das Eigenthum eines Einzelnen zu werden.

Die Regierungsform, wenn sie auch sollte verändert werden, soll allezeit eine repräsentative Demokratie sein.

3. Das Gesetz ist die Erklärung des Willens des Gesetzgebers, welchen er auf eine durch die Constitution festgesetzte Art kundgemacht hat.

4. Die zwei Grundlagen des öffentlichen Wohls sind die Sicherheit und Aufklärung.

Aufklärung ist besser als Reichthum und Pracht.

5. Die natürliche Freiheit des Menschen ist unveräußerlich. Sie hat keine andere Grenzen als die Freiheit jedes andern und gesetzmäßig erwiesene Absichten eines allgemein nothwendigen Vortheils.

[568] Das Gesetz verbietet jede Art von Ausgelassenheit; es muntert auf, Gutes zu thun.

6. Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt; jedoch muß die öffentliche Aeußerung von Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedens untergeordnet sein. Alle Gottesdienste sind erlaubt, insofern sie die öffentliche Ruhe nicht stören und sich keine herrschende Gewalt oder Vorzüge anmaßen. Die Polizei hat die Aufsicht darüber und das Recht, sich nach den Grundsätzen und Pflichten zu erkundigen, die darin gelehrt werden. Die Verhältnisse einer Secte mit einer fremden Obrigkeit sollen weder auf Staatssachen noch auf den Wohlstand und die Aufklärung des Volkes einigen Einfluss haben.

7. Die Pressfreiheit ist eine natürliche Folge des Rechtes, das jeder hat, Unterricht zu erhalten.

8. Es giebt keine erbliche Gewalt, Rang noch Ehrentitel. Jeder Gebrauch oder jede darauf zielende Einsetzung soll durch Strafgesetze verboten werden.

Erbliche Vorzüge erzeugen Hochmuth und Unterdrückung, führen zu Unwissenheit und Trägheit und leiten die Meinungen über Dinge, Begebenheiten und Menschen irre.

9. Privateigenthum kann vom Staat nicht anders verlangt werden als in dringenden Fällen oder zu einem allgemeinen, offenbar nothwendigen Gebrauch und dann nur gegen eine gerechte Entschädigung.

10. Ein jeder, der durch gegenwärtige Staatsverfassung das Einkommen irgend einer Stelle oder Pfründe verliert, soll vergütungsweise eine lebenslängliche Rente erhalten, diejenigen Jahre ausgenommen, wo ihn eine andere einträgliche Stelle oder eine Pension auf eine billige Art entschädigen würde.

Von aller Vergütung oder Entschädigung sind jedoch diejenigen ausgeschlossen, welche sich von Kundmachung des gegenwärtigen Constitutions-Plans an der Annahme einer weisen, politischen Gleichheit zwischen Bürgern und Unterthanen und des Systems der Einheit und Gleichheit zwischen den Gliedern des gemeinschaftlichen Vaterlandes widersetzen würden. Außerdem ist vorbehalten, gegen diejenigen, deren Widerstand von Bosheit, Arglist oder Falschheit zeugen würde, zu seiner Zeit strengere Maßregeln zu ergreifen.

[569] 11. Steuern werden zum allgemeinen Nutzen ausgeschrieben und müssen unter den Steuerbaren nach ihrem Vermögen, Einkünften und Nutznießungen vertheilt werden.

Dieses Verhältnis kann aber nur annäherungsweise bestimmt werden. Eine zu weit getriebene Genauigkeit würde das Auflagen-System kostspielig und der National-Wohlfahrt nachtheilig machen.

12. Die Besoldung der öffentlichen Beamten soll man nach Verhältnis der Arbeit und der erforderlichen Talente aussetzen, sowie auch nach Maßgabe der Gefahr, wenn die Aemter feilen Händen anvertraut werden oder das ausschließliche Erbtheil der Reichen bilden sollten.

Diese Besoldungen sollen in einem Quantum Getreide bestimmt und, so lange ein Beamter an seiner Stelle sein wird, nicht vermindert werden.

13. Kein liegendes Gut kann unveräußerlich erklärt werden, weder für eine Corporation oder für eine Gesellschaft noch für eine Familie. Das ausschließliche Recht, liegende Güter zu besitzen, führt zur Sklaverei.

Der Grund und Boden kann mit keiner Last, Zins oder Dienstbarkeit beschwert werden, wovon man sich nicht loskaufen könnte.

14. Der Bürger ist gegen das Vaterland, seine Familie und die Bedrängten pflichtig. Er pflegt Freundschaft, opfert ihr aber keine seiner Obliegenheiten auf. Er schwört allen persönlichen Groll und jeden Beweggrund von Eitelkeit ab. Sein Hauptzweck ist die moralische Veredlung des menschlichen Geschlechts; ohne Unterlass ladet er zu den sanften Gefühlen der Bruderliebe ein. Sein Ruhm besteht in der Achtung gutdenkender Menschen, und sein Gewissen weiß ihn selbst für die Versagung dieser Achtung zu entschädigen.


Zweiter Titel.
Eintheilung des helvetischen Gebiets.

15. Helvetien ist in Cantone, in Districte, in Gemeinden und in Sectionen oder Quartiere der großen Gemeinden eingetheilt. Diese Eintheilungen beziehen sich auf Wahlen, Gerichtsbarkeiten und Verwaltungen; sie machen aber keine Grenzen aus.

[570] Die Cantone sind alle gleich im Rang, und dieser Rang soll jährlich durch das Loos bestimmt werden.

16. Der Umfang der Cantone, Districte, Gemeinden und Sectionen von Gemeinden kann durch das Gesetz verändert oder berichtigt werden.

17. Die Hauptstadt der helvetischen Republik werden die gesetzgebenden Räthe bestimmen. Einstweilen soll es die Gemeinde Lucern sein.

18. Die Graubündner sind eingeladen, ein Bestandtheil der Schweiz zu werden, und wenn sie dieser Einladung entsprechen, so sollen der Cantone einstweilen zweiundzwanzig sein, nämlich:

  • Der Canton Wallis; Hauptort Sitten.
  • Der Canton Leman oder das Waatland; Hauptort Lausanne.
  • Der Canton Freiburg, mit Inbegriff der Landvogteien Peterlingen, Wiflisburg bis an die Brüsch, und Murten; Hauptort Freiburg.
  • Der Canton Bern, ohne das Waatland und das Aargäu; Hauptort Bern.
  • Der Canton Solothurn; Hauptort Solothurn.
  • Der Canton Basel, mit Einschluss dessen, was ihm in dem Frickthal könnte abgetreten werden; Hauptort Basel.
  • Der Canton Aargau, von Aarburg und Zofingen an; Hauptort Aarau.
  • Der Canton Lucern; Hauptort Lucern.
  • Der Canton Unterwalden, mit Inbegriff von Engelberg; Hauptort Stanz.
  • Der Canton Uri, mit Inbegriff des Urseren-Thals; Hauptort Altorf.
  • Der Canton Bellinzona, welcher die vier obern italienischen Landvogteien in sich begreift, nämlich das Liviner-Thal, Bollenz, Riviera und Bellinzona; Hauptort Bellinzona.
  • Der Canton Lugano, der die vier untern italienischen Landvogteien begreift, nämlich Lugano, Mendrisio, Locarno und Valmaggia; Hauptort Lugano.

[571]

  • Der Canton Rätien oder Graubünden; Hauptort Chur.
  • Der Canton Sargans, mit Inbegriff des Rheinthals, (nebst) Sax, Gams, Werdenberg, Gaster, Utznach, Rappersweil und March; Hauptort Sargans.
  • Der Canton Glarus; Hauptort Glarus.
  • Der Canton Appenzell; Hauptort Appenzell, oder abwechselnd Herisau.
  • Der Canton Thurgau; Hauptort Frauenfeld.
  • Der Canton St. Gallen, welcher die Stadt und das von allen oberherrlichen Rechten befreite Gebietes des Abtes enthält; Hauptort St. Gallen.
  • Der Canton Schaffhausen; Hauptort Schaffhausen.
  • Der Canton Zürich mit Inbegriff von Winterthur; Hauptort Zürich.
  • Der Canton Zug, mit Inbegriff der Unterthanen der Stadt, der Grafschaft Baden und der freien Aemter; Hauptort Zug.
  • Der Canton Schwyz, mit Inbegriff von Gersau, Küssnacht, Einsiedeln und den Höfen; Hauptort Schwyz.



Dritter Titel.
Politische Verhältnisse der Bürger.


19. Alle diejenigen, welche jetzt wirkliche Bürger einer regierenden oder Municipalstadt, eines unterworfenen oder freien Dorfes sind, werden durch gegenwärtige Constitution Schweizerbürger.

Ebenso verhält es sich mit den ewigen Einwohnern, oder die von solchen Eltern in der Schweiz geboren sind.

20. Der Fremde kann Bürger werden, wenn er zwanzig Jahre lang nach einander in der Schweiz gewohnt, wenn er sich nützlich gemacht hat und wegen seiner Aufführung und Sitten günstige Zeugnisse aufweisen kann; er muß aber für sich und seine Nachkommen auf jedes andere Bürgerrecht Verzicht leisten; er muß den Bürgereid ablegen, und sein Name wird in das Register der Schweizerbürger, welches in dem National-Archiv niedergelegt wird, eingeschrieben.

[572] 21. Die in der Schweiz wohnhaften Fremden sind den nämlichen Auflagen, der Wache und der Miliz unterworfen wie die Bürger.

22. Die Bürger haben allein das Recht, in den Urversammlungen zu stimmen und zu öffentlichen Aemtern gewählt zu werden.

23. Fremde können nur zu Militär- und solchen Stellen gelangen, die sich mit der Erziehung und den schönen Künsten befassen, oder zu denen eines Secretairs und Unter-Agenten eines öffentlichen Beamten. Das Verzeichnis aller auf diese Art angestellten Fremden soll alle Jahre von der Regierung öffentlich bekannt gemacht werden.

24. Jeder Bürger, wenn er zwanzig Jahre zurückgelegt hat, muß sich in das Bürger-Register seines Cantons einschreiben lassen und den Eid ablegen:[WS 1] „seinem Vaterlande zu dienen und der Sache der Freiheit und Gleichheit als ein guter und getreuer Bürger, mit aller Pünktlichkeit und allem Eifer so er vermag und mit einem gerechten Hass gegen Anarchie oder Zügellosigkeit anzuhangen.“

Dieser Eid wird von allen jungen Bürgern, die das genannte Alter erreicht haben, in der schönen Jahreszeit an dem gleichen Tage, in Gegenwart der Eltern und Obrigkeiten abgelegt und endigt mit einem bürgerlichen Fest. Der Statthalter nimmt den Eid ab und hält eine dem Gegenstand des Festes angemessene Rede.

25. Jeder Bürger ist ein geborner Soldat des Vaterlands; er kann sich durch einen andern ersetzen lassen, wenn es das Gesez erlaubt; er ist aber schuldig, wenigstens zwei Jahre in einem Auszugscorps, das jeder Canton aufstellen wird, zu dienen.

Der Tag, an welchem die jungen Bürger zum erstenmal bewaffnet werden, soll zu einem bürgerlichen Feste Anlass geben. Der Statthalter weiht sie als Vertheidiger des Vaterlandes ein.

26. Die Diener irgend einer Religion können keine politischen Verrichtungen versehen noch den Urversammlungen beiwohnen.

27. Man verliert das Bürgerrecht:

1) durch die Naturalisirung in einem fremden Land.

[573] 2) Durch den Eintritt in irgend eine fremde Corporation, ausgenommen gelehrte Anstalten.

3) Durch Ausreißen (Desertion).

4) Durch eine zehnjährige Abwesenheit, wenn man nicht die Erlaubnis erhalten hat, seine Abwesenheit zu verlängern.

5) Durch die Verurtheilung zu entehrenden Strafen, bis zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Fälle, wo die Ausübung der bürgerlichen Rechte eingestellt werden kann, sollen durch das Gesetz bestimmt werden.


Vierter Titel.
Von den Urversammlungen und den Wahlmännern.


28. Die Urversammlungen bestehen aus den Bürgern und Bürgerssöhnen, welche seit fünf Jahren in derselben Gemeinde wohnen, von dem Tage an zu rechnen, da sie erklärt haben, dass ihr Wille sei, sich allda häuslich niederzulassen. Es giebt jedoch Fälle, wo die gesetzgebenden Räthe nur den Geburtsort entweder des Bürgers selbst oder seines Vaters, wenn er nicht in der Schweiz geboren wäre, für den Wohnsitz anerkennen mögen.

Um in einer Ur- oder Wahlversammlung zu stimmen, muß man das zwanzigste Jahr zurückgelegt haben.

29. Jedes Dorf oder Flecken, wo sich hundert Bürger befinden, die das Stimmrecht haben, macht eine Urversammlung aus.

30. Die Bürger eines jeden Dorfes oder Fleckens, so nicht hundert stimmfähige Bürger enthält, vereinigen sich mit denen von dem nächstgelegenen Flecken oder Dorf.

31. Die Städte haben eine Urversammlung in jeder Section oder Quartier. Die gesetzgebenden Räthe bestimmen die Anzahl der Bürger.

32. Die Urversammlungen werden zusammenberufen:

1) Um die Staatsverfassung anzunehmen oder zu verwerfen.

2) um alle Jahre die Mitglieder der Wahlversammlung des Cantons zu ernennen.

[574] 33. Auf hundert Personen, welche die erforderlichen Eigenschaften haben, um Bürger zu sein, wird ein Wahlmann ernannt.

34. Die Namen der Erwählten werden dem Statthalter zugeschickt; dieser wird, mit Hülfe des Präsidenten jeder constituirten Gewalt seines Wohnsitzes, öffentlich und durch das Loos die Hälfte der Erwählten von der Wahl ausschließen. Die andere Hälfte macht allein das Wahlcorps aus.

Am Tage dieser Ziehung wird das dritte bürgerliche Fest gefeiert, wobei der Statthalter in einer Rede die Grundsätze, welche die Wähler bei ihren Ernennungen leiten sollen, entwickelt.


Das erstemal soll die Ausschließung der Hälfte der Wahlmänner durch das Loos nicht statthaben.

35. Die Wahlcorps erwählen:

1) Die Deputirten für das gesetzgebende Corps;

2) die Richter des obern Gerichtshofes;

3) die Richter des Cantonsgerichts;

4) die Mitglieder der Verwaltungskammer;

5) die Suppleanten gedachter Richter und Verwalter.


Fünfter Titel.
Von der gesetzgebenden Gewalt.

36. Die gesetzgebende Gewalt wird durch zwei unterschiedene, abgesonderte und von einander unabhängige Räthe ausgeübt. Jeder derselben hat eine eigene Amtskleidung.

Diese beiden Räthe sind:

Der Senat, welcher, nebst den ausgetretenen Directoren, aus vier Deputirten von jedem Canton besteht.

Der Große Rath, welcher das erste Mal aus acht Abgeordneten von jedem Canton besteht; für die Folge soll das Gesetz die Anzahl bestimmen, welche jeder Canton nach dem Verhältnis seiner Bevölkerung zu ernennen hat.

37. Im dritten Jahre gegenwärtiger Verfassung und in der Folge muß man, um in den Senat erwählt zu werden, entweder Minister oder auswärtiger Agent [575] oder Mitglied des Großen Raths oder des Obergerichts oder Statthalter oder Präsident einer Verwaltungskammer oder eines Cantonsgerichts gewesen sein oder noch sein.

38. Ferner muß man verheiratet oder es gewesen sein und das Alter von dreißig Jahren erreicht haben. Diese zwei letztern Bedingungen sollen sogleich statthaben.

39. Die gewesenen Directoren sind von Rechts wegen Mitglieder des Senats, es sei denn dass sie eine andere Stelle annehmen oder lieber in die Classe des Privatmannes zurückkehren.

40. Jedoch soll kein gewesener Director in den Senat eintreten können, so lange unter den übrigen Mitgliedern desselben, sie mögen gewesene Directoren oder erwählt worden sein, ein durch Blut oder Heirat mit ihm in gerader Linie oder in der Seitenlinie durch Blut verwandtes Mitglied sitzt, bis zum Grad von Oheim und Neffe inclusive.

41. Die erwählten Mitglieder des Senats werden alle ungerade Jahre zum vierten Theil erneuert, sodass jedes erwählte Mitglied acht Jahre lang diese Stelle bekleidet.

42. Um als Mitglied des Großen Raths erwählt zu werden, muß man das fünfundzwanzigste Altersjahr zurückgelegt haben und im Genuss des Bürgerrechts sein.

43. Der Große Rath wird alle gerade Jahre zum dritten Theil erneuert.

44. Die Zeit dieser theilweisen Erneuerung der gesetzgebenden Räthe ist das Herbst-Aequinoctium.

45. Die Mitglieder des Senats, welche es acht Jahre lang gewesen sind, können erst nach einer Zwischenzeit von vier Jahren wieder gewählt werden.

46. Die Mitglieder des Großen Raths, welche es sechs Jahre lang gewesen sind, können erst nach einer Zwischenzeit von zwei Jahren wieder erwählt werden.

47. Der Senat genehmigt oder verwirft die Beschlüsse des Großen Raths.

48. Die bürgerlichen Gesetze jedes Cantons und die sich darauf beziehenden Gebräuche sollen fernerhin [576] den Gerichten zur Richtschnur dienen, bis die gesetzgebenden Räthe nach und nach werden gleichförmige bürgerliche Gesetze eingeführt haben. Allein diese neuen Gesetze können in keinem Fall eine rückwirkende Kraft auf frühere Verträge und Akten haben.

49. Die Sitzungen der beiden Räthe werden öffentlich; jedoch soll in jedem Rath die Anzahl der Zuhörer die der Mitglieder nicht übersteigen. Jeder Rath kann sich in ein allgemeines Comite verwandeln.

50. Die gesetzgebenden Räthe genehmigen oder verwerfen, auf den vorläufigen und nothwendigen Vorschlag des Vollziehungs-Directoriums, alles was die Finanzen, den Frieden und Krieg betrifft.

51. Die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe können nur mit Beobachtung folgender Formalitäten vor Gericht gezogen werden.

52. Keine Denunciation gegen ein Mitglied des einen oder des andern Raths kann zu einer gerichtlichen Verfolgung Anlass geben, wenn sie nicht schriftlich aufgesetzt, unterschrieben und dem Großen Rath zugeschickt worden ist.

53. Der Große Rath berathschlagt sogleich über die Frage, ob die Denunciation solle angenommen werden.

54. Wenn die Denunciation angenommen ist, so wird der Beschuldigte vorgeladen, sich in der Zeit von drei vollen Tagen stellen.

Erscheint er, so wird er im Innern des Großen Raths verhört.

55. Der Beschuldigte mag sich gestellt haben oder nicht, so erklärt der Große Rath nach Verlauf der durch die Citation angesetzten First, ob sein Betragen zu untersuchen sei oder nicht.

56. Wenn der Große Rath erklärt hat, dass eine Untersuchung statthabe, so wird der Beschuldigte durch den Senat vorberufen; es werden ihm zwei volle Tage gegeben, um zu erscheinen, und wenn er erscheint, so wird er im Innern des Orts der Sitzungen des Senats verhört.

57. Der Beschuldigte mag sich gestellt haben oder nicht, so bestätigt oder verwirft der Senat, nach Verlauf dieser Zeit und nachdem er über die Sache beratschlagt hat, den Beschluss des Großen Raths. [577] 58. Bestätigt er denselben, so verweist er den Beschuldigten vor den obern Gerichtshof, welcher entscheidet, ob eine Anklage statthabe.

59. Jede Discussion in dem einen oder andern Rath, wegen einer Beschuldigung gegen eines seiner Mitglieder, wird in einem allgemeinen Comite vorgenommen.

60. Jede Berathschlagung über diese Gegenstände geschieht mit Aufrufung der Namen und durch geheime Stimmzeddel.

61. Die von dem obern Gerichtshof gegen ein Mitglied eines gesetzgebenden Raths ausgesprochene Anklage zieht die Suspension nach sich.

62. Wenn die Anklage ausgesprochen ist, beruft das obere Gericht seine Suppleanten zu sich und macht mit denselben nur ein einziges Tribunal aus; es instruirt den Process und spricht das Urtheil, von welchem nicht appellirt werden kann. Eine Stimme mehr als das Drittel spricht los. Dieses Drittel wird näherungsweise bestimmt, sodass das Drittel von zehn drei, von eilf vier ist, u. s. w.

63. Wenn der Beschuldigte durch das Urtheil des obern Gerichtshofes losgesprochen ist, so tritt er wieder in sein Amt ein.

64. Die beiden Räthe sind gehalten, jedes Jahr ihre Sitzungen drei Monate lang einzustellen; sie können es aber für eine längere Zeit thun.

65. Jeder der Räthe hat seine besondere Wache.

Die Wache eines Rathes kann nicht zahlreicher sein als die Wache des andern noch als die des Vollziehungs-Directoriums.

66. Jeder Rath hat die Polizei im Ort seiner Sitzungen und im äußern Umkreis, den er bestimmt hat.

Dieser äußere Umkreis kann nur von einem mit Mauern, Hecken oder sonst umgebenen Platz verstanden werden.

67. In keinem Fall können die gesetzgebenden Räthe, weder gesöndert noch mit einander noch durch einen Ausschuss, die vollziehende oder die richterliche Gewalt ausüben.

68. Die gesetzgebenden Räthe sind nicht befugt, einem oder einigen ihrer Mitglieder noch irgend jemandem irgend eines der Geschäfte zu übertragen, welche ihnen die Verfassung auferlegt hat.

[578] 69. In keinem Fall können sich die beiden Räthe in dem nämlichen Saale vereinigen.

70. Weder der eine noch der andere Rath kann aus sich selbst einen bleibenden Ausschuss ernennen.

Jeder Rath hat bloß das Recht, wenn Gegenstände vorkommen, die einer vorläufigen Untersuchung zu bedürfen scheinen, aus seiner Mitte eine Commission zu ernennen, welche sich auf den Gegenstand einschränkt, um dessentwillen sie ernannt worden ist, und welche aufgehoben ist, sobald der Rath über diesen Gegenstand einen Beschluss gefasst hat.


Sechster Titel.
Vollziehungs-Directorium.


71. Die vollziehende Gewalt ist einem aus fünf Mitgliedern bestehenden Vollziehungs-Directorium übertragen.

Das Vollziehungs-Directorium wird alle Jahre, drei Monate vor der Ergänzung der gesetzgebenden Räthe, folglich um die Zeit des Sommer-Solstitiums, durch die Wahl eines neuen Mitgliedes theilweise erneuert.

72. Um als Director erwählt zu werden, muß man von nun an das Alter von vierzig Jahren erreicht haben und verheiratet oder es gewesen sein.

Von dem dritten Jahre an nach der Einführung gegenwärtiger Constitution muss man außerdem entweder Mitglied eines der gesetzgebenden Räthe oder Minister oder Mitglied des Obergerichtshofs oder endlich Statthalter gewesen sein.

73. Das Wahlverfahren ist für das erste Jahr folgendes:

Einer der Räthe bildet durch geheime Stimmgabe und mit der absoluten Mehrheit der Stimmen eine Liste von fünf Candidaten, und der andere Rath wählt, ebenfalls in geheimer Abstimmung und nach der absoluten Mehrheit der Stimmen, aus dieser vorgelegten Liste den neuen Director.

Das Loos entscheidet aber unmittelbar vor der Wahl, welcher von den beiden Räthen die Liste der Kandidaten zu verfertigen hat; diese Operation wird das erste Jahr fünfmal wiederholt, und ebenso bestimmt das Loos in den vier nächsten Jahren, wie die ersternannten nach und nach austreten sollen.

[579] 74. Im zweiten Jahr und in der Folge wird die Wahl weniger einfach sein. Zuerst schließt das Loos die Hälfte der Mitglieder eines jeden Raths von der Wahl aus; diese ausgeschlossene Hälfte entscheidet vorläufig, ob man bei der vorzunehmenden Wahl dieses Mal das Loos soviel möglich wolle walten lassen oder nicht. Entscheidet sie verneinend, so nimmt die nicht ausgeschlossene Hälfte die Wahl nach der oben beschriebenen Art vor. Wenn sie aber die Frage bejaht, so wird zuvor durch das Loos entschieden, welcher von beiden auf gesagte Art auf die Hälfte herabgesetzte Rath die Candidaten-Liste verfertigen solle. Der also bestimmte Rath ernennt durch absolute Mehrheit der Stimmen sechs Candidaten. Von diesen sechs werden drei durch das Loos ausgeschlossen, und unter den drei übrigen erwählt der andere Rath den neuen Director.

75. Die austretenden Mitglieder des Vollziehungs-Directoriums können vor einem Zeitverlauf von fünf Jahren nicht wieder erwählt werden.

Jedoch soll derjenige, welcher am Ende des ersten Jahrs austreten wird, nach Verlauf eines Jahrs wieder gewählt werden können.

Derjenige, welcher im zweiten Jahr austreten wird, kann nach Verlauf von zwei Jahren wieder erwählt werden.

Derjenige, welcher im dritten Jahr austreten wird, kann nach Verlauf von drei Jahren wieder erwählt werden.

Derjenige, welcher im vierten Jahr austreten wird, kann nach Verlauf von vier Jahren wieder erwählt werden.

76. Das Vollziehungs-Directorium sorgt, den Gesetzen gemäß, für die äußere und innere Sicherheit des Staats. Es verfügt über die bewaffnete Macht. Doch soll in keinem Fall das Directorium insgesamt noch eines seiner Mitglieder, weder während der Zeit seiner Amtsführung noch zwei Jahre lang nach Endigung derselben, die Truppen commandiren.

77. Das Vollziehungs-Directorium kann jeden der beiden Räthe einladen, einen Gegenstand in Betracht zu ziehen.

[580] 78. Ihm gebührt der erste Antrag, Strafen völlig zu erlassen oder zu mindern, oder sogar Belohnungen zu gewähren, wenn von Seiten der Mitschuldigen eines begangenen Verbrechens Entdeckungen gemacht werden.

79. Es besiegelt die Gesetze und lässt sie bekanntmachen; es besorgt die Vollziehung derselben.

80. Es unternimmt und führt die Unterhandlungen mit den fremden Mächten; aber die Verträge, welche es unterschreibt oder unterschreiben lässt, sind nicht gültig, bevor sie von den gesetzgebenden Räthen in einem geheimen Comite untersucht und genehmigt worden.

Die Verfügungen der geheimen Artikel werden ohne die Genehmigung der gesetzgebenden Räthe vollzogen; sie dürfen aber nichts gegen die öffentlichen Artikeln enthalten noch die Constitutions-Gesetze verletzen.

81. Das Directorium legt alle Jahre den gesetzgebenden Räthen Rechnung ab über die Verwendung der einem jeden Departement angewiesenen Gelder, außer denen die ihm für persönliche oder geheime Ausgaben besonders anvertraut worden sind.

82. Die Ernennung, Zurückberufung und Absetzung aller Anführer und Offiziere der besoldeten Truppen in jedem Grade, der Minister und diplomatischen Agenten, der Commissarien der National-Schatzkammer, der Statthalter in den Cantonen, des Präsidenten und des öffentlichen Anklägers und Schreibers des obern Gerichtshofes, sowie auch der Obereinnehmer der Einkünfte der Republik, steht ihm zu. Die Unterbeamten und Unteragenten aber werden von denjenigen ernannt, von denen sie unmittelbar abhangen.

83. Wenn das Directorium von einer wider die äußere oder innere Sicherheit des Staates angesponnenen Verschwörung benachrichtigt wird, so kann es Vorführungs- und Verhaftsbefehle gegen diejenigen ergehen lassen, welche man für die Urheber oder Mitschuldigen hält; es kann sie verhören; allein es ist, unter den wider das Verbrechen einer willkürlichen Verhaftung bestimmten Strafen, verbunden, dieselben in Zeit von zwei Tagen vor die Polizeibeamten zu verweisen, damit den Gesetzen gemäß verfahren werde.

[581] 84. Es sind vier Minister: derjenige der auswärtigen Geschäfte und des Kriegswesens; derjenige der Rechtspflege und der Polizei; derjenige der Finanzen, des Handels, des Ackerbaus und der Handwerke; derjenige der Wissenschaften, schönen Künste, öffentlichen Gebäude, Brücken und Straßen.

Was die Spitäler, die für die Armen bestimmten Unterstützungen und den Bettel betrifft, so gehören diese Gegenstände in das Fach des Justiz- und Polizeiministers.

Das Gesetz kann obige Vertheilung der den Ministern zugetheilten Geschäfte verändern.

Es kann die Zahl der Minister auf sechs, aber nicht auf fünf festsetzen, noch ihrer weniger als vier bestimmen.

85. Alles, was in Betreff des gerichtlichen Verfahrens gegen die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe verfügt ist, gilt auch von den Mitgliedern des Vollziehungs-Directoriums.



Siebenter Titel.
Oberster Gerichtshof.

86. Der oberste Gerichtshof besteht aus einem von jedem Canton ernannten Richter. Alle Jahre wird der vierte Theil seiner Mitglieder erneuert, und zwar drei Jahre lang je fünf, das vierte Jahr aber sieben Mitglieder.[2]

87. Das Directorium ernennt unter den erwählten Richtern den Präsidenten und stellt auch den öffentlichen Ankläger und den ersten Gerichtsschreiber an. Es sind so viele Suppleanten als Richter; sie werden zur nämlichen Zeit erneuert.

Dieser Gerichtshof richtet über die Mitglieder der gesetzgebenden Räthe und des Vollziehungs-Directoriums, wie oben gesagt worden.

88. Derselbe richtet ferner in letzter Instanz, entweder allein oder mit Zuziehung seiner Suppleanten, in Criminalsachen, welche die Todesstrafe oder die Einsperrung oder Landesverweisung auf zehn oder mehr Jahre nach sich ziehen.

[582] 89. Er cassirt auch in Civilsachen die Sprüche der untern Gerichte, welche gegen die Competenz, die vorgeschriebenen Formen und den Sinn der Gesetze ertheilt worden sind.

90. Der obere Gerichtshofs soll einstweilen in der nämlichen Gemeinde seine Sitzungen halten, wo die gesetzgebenden Räthe und das Vollziehungs-Directorium ihren Sitz haben.

Die gesetzgebenden Räthe können den Sitzungsort desselben ändern, insofern das Vollziehungs-Directorium den Vorschlag hierzu macht.



Achter Titel.
Von der bewaffneten Macht.

91. Es soll in Friedenszeiten ein besoldetes Truppencorps gehalten werden, welches durch freiwillige Anwerbung und im Fall des Bedürfnisses auf die durch das Gesetz bestimmte Art errichtet werden soll.

92. Es soll in jedem Canton ein Corps von auserlesenen Milizen oder Nationalgarden bestehen, welche allezeit marschfertig sein werden, entweder um der gesetzlichen Obrigkeit Hülfe zu leisten oder einen ersten Angriff von Außen zurückzuweisen.



Neunter Titel.
Staatsverbrechen.


93. Jede Anklage wegen Staatsverbrechen, wegen Dienstfrevel, Veruntreuung, directer oder indirecter Bestechung, gehört vor den Gerichtshof des Ortes, wo das Verbrechen begangen worden, oder, wenn dieser Ort nicht angegeben ist, vor den Gerichtshof des Ortes, wo der Hauptbeklagte seine gewöhnliche Wohnung hat. Dieser Gerichtshof untersucht vor allem, ob der Fall einer Anklage stattfinde; in diesem Fall beruft er seine Suppleanten zu sich und macht mit ihnen einen peinlichen Gerichtshof in erster Instanz aus.

94. Wenn durch den Verurtheilten oder durch den öffentlichen Ankläger an den obern Gerichtshof appelirt wird, so soll dieser wie das untere Gericht verfahren und das Endurtheil nicht anders als mit Zuziehung seiner Suppleanten aussprechen.

[583]
Zehnter Titel.
Cantonsobrigkeiten.

95. Die drei ersten Obrigkeiten von jedem Canton sind: Der Regieruns-Statthalter, das Cantonsgericht und die Verwaltungskammer.

96. Der Statthalter stellt die vollziehende Gewalt vor.

Sein Stellvertreter ist der Unter-Statthalter der Gemeinde, wo er seinen Sitz hat.

Er hat die Aufsicht über alle Behörden und Angestellten in der Ausübung ihrer Aemter und erinnert sie an ihre Pflichten.

Er übermacht ihnen die Gesetze wie auch die Befehle des Directoriums.

Er nimmt ihre Bemerkungen, Vorschläge und Klagen an; er ist verbunden, sich von Zeit zu Zeit in die verschiedenen Distrikte des Kantons zu begeben, um seine Aufsicht auszuüben.

Er selbst kann nichts verwilligen; aber er nimmt die Bittschriften der Bürger an und lässt sie an die zuständigen Obrigkeiten gelangen.

Er beruft die Urversammlungen und die Wahlcorps zusammen.

Er hat den Vorsitz bei den bürgerlichen Festen.

Er hat das Recht den Berathungen der Gerichtshöfe und der Verwaltungskammer beizuwohnen; er dringt dabei auf die Vollziehung der Gesetze, ohne aber dabei seine Stimme geben zu können.

Er wacht für die innere Sicherheit, übt das Recht der Gefangennehmung aus und verfügt über die bewaffnete Gewalt, ohne dass er sie selbst anführen darf.

Er ernennt die Präsidenten des (Cantons-) Tribunals, der Verwaltungskammer und der niedern Gerichte unter den Richtern und Verwaltern, welche das Wahlkorps gewählt hat.

Er ernennt auch die Gerichtsschreiber, den öffentlichen Ankläger und die Unter-Statthalter des Hauptorts und der Districte. Er selbst wird vom Directorium erwählt, entsetzt, abberufen, in einen anderen Canton versetzt oder zu andern Geschäften verwendet.

[584] 97. Das Cantonstribunal spricht in erster Instanz in Haupt-Criminalsachen, und in letzter Instanz in allen andern Kriminalprocessen und in Civil- und Polizeisachen.

98. Dieses Tribunal besteht aus dreizehn Richtern mit Inbegriff des Präsidenten. Das Wahlcorps ernennt sie. Der Präsident erwählt seinen Stellvertreter unter den Richtern.

99. Die Richter werden von dem Wahlkorps ernannt. Es treten alle Jahre je zwei derselben aus und werden durch die Wahlcorps der Cantone, welche sie erwählt haben, ersetzt, ausgenommen dass im sechsten Jahr drei austreten, welche die Wahlkorps auf oben gesagte Art ersetzen.

Die austretenden Richter können allezeit wieder erwählt werden.

100. Sie haben Suppleanten für die Urlaubszeiten und in Krankheitsfällen, oder wenn sie in das gesetzgebende Corps deputirt werden.

101. Die Verwaltungskammer besorgt die unmittelbare Vollziehung der Gesetze über die Finanzen, den Handel, die Künste, die Handwerke, den Ackerbau, die Lebensmittel, die Unterhaltung der Städte und der Landstraßen. Sie besteht aus einem Präsidenten und vier Beisitzern, welche das Wahlcorps ernennt, und welche alljährlich in einem Mitglied einer erneuert werden.

Sie können zweimal nach einander aufs neue gewählt werden; nachher aber kann solches erst nach Verlauf von zwei Jahren geschehen.

Sie haben Ersatzmänner für die Urlaubs- und Krankheitsfälle, oder wenn sie in das gesetzgebende Corps gesandt werden.

102. Ausser diesen drei ersten Gewalten gibt es in dem Hauptort und in den Districten jedes Cantons untere Gerichte für Civil- und Polizeisachen. Diese bestehen aus neun Mitgliedern, die das Wahlcorps ernennt.

Sie bleiben sechs Jahre lang im Amt. Es tritt alle Jahre einer heraus.

Der Präsident wird von dem Regierungs-Statthalter unter den Mitgliedern ernannt.

103. Für die Handhabung der öffentlichen Ruhe und die Vollziehung der sowohl von dem Statthalter [585] als von den Gerichtshöfen oder der Verwaltungskammer ergehenden Befehle ist in jedem Hauptort und in jedem Districte ein Unter-Statthalter, welcher in jeder Section der Städte und in jedem Dorfe einen Agenten unter sich hat, den er selbst ernennt.

104. Dieser Agent verfährt in wichtigen Fällen nicht ohne Zuziehung zweier Gehülfen, die er sich selbst wählt, wenn er sein Amt antritt.

105. Das Vollziehungs-Directorium kann, wenn es dies für nöthig findet, die Gerichte und die Verwaltungskammer absetzen und solche bis zu den künftigen Wahlen ersetzen.

Die von ihm diesfalls gefassten Beschlüsse müssen immer die Beweggründe enthalten.



Eilfter Titel.
Abänderung der Constitution.


106. Der Senat schlägt diese Abänderungen vor; die hierüber gemachten Vorschläge erhalten aber nicht eher die Kraft eines Beschlusses, als bis sie zweimal decretirt worden, und zwar muß zwischen dem ersten und dem zweiten Dekret ein Zeitraum von fünf Jahren verstreichen. Die Beschlüsse des Senats müssen hierauf von dem Großen Rath verworfen oder genehmigt[3] und nur im letztern Fall den Urversammlungen zugeschickt werden, um sie anzunehmen oder zu verwerfen.

107. Wenn die Urversammlungen dieselben annehmen, so sind sie neue Fundamentalgesetze der Verfassung.



Zwölfter Titel.
Mittel die Constitution ins Werk zu setzen.[4]

1. Wenn sich in einer Gemeinde, es sei Stadt oder Dorf, oder in einem Canton eine gewisse Zahl von Bürgern befindet, welche entschlossen sind, in den Genuss der mit der Freiheit und Gleichheit verknüpften Rechte, welche ihnen die Natur verliehen hat, wieder einzutreten, so sollen sie sich durch eine Bittschrift an die Obrigkeit wenden, damit ihnen erlaubt werde, [586] sich in Urversammlungen zu vereinigen, um über die Annahme oder Verwerfung obiger Constitution zu rathschlagen und ihre Wahlmänner zu ernennen.

Wenn die Obrigkeit die Bittschrift verwirft, so geben die Unterschriebenen eine zweite ein, so viel möglich mit neuen Unterschriften versehen.

2. Wenn die zweite Bittschrift wieder von der Obrigkeit verworfen wird, oder mehr als drei Tage verlaufen, ohne dass ihr entsprochen wurde, so erklären die Unterzeichner, dass sie in alle Rechte der ursprünglichen Gleichheit einer jeden Gesellschaft wieder eintreten.

3. Infolge dessen werden sie sogleich Aufforderungsbriefe an die Gemeinden und an die schon bestehenden Sectionen von Gemeinden im Canton ergehen lassen, um zu obenbemeldetem Zwecke Urversammlungen zu bilden.

4. Diejenigen Gemeinden, welche aus Feigheit, Schwachheit oder Dummheit dieser Einladung nicht Folge leisten, sollen als schon repräsentirt gelten, entweder durch die Gemeinden, welche der Sache der Freiheit und Gleichheit treu bleiben, oder durch einzelne muthvolle Männer, welche von sich aus als Repräsentanten auftreten werden.

5. Jede Urversammlung wird zuvorderst ihren Präsidenten, ihren Secretär und vier Stimmenzähler ernennen und hierauf über die Annahme der obigen Constitution berathschlagen.

Wenn sie die Constitution angenommen hat, ernennt sie ihre Wahlmänner.

Die Wahlmänner versammeln sich dann im Hauptorte des Cantons.

Sobald das Wahlcorps gebildet ist, cassirt es die bestehende Regierung.

Alsdann ernennt es:

1) Vier Deputirte für den Senat und acht für den Großen Rath.
2) Die Mitglieder der Verwaltungskammer.
3) Die Mitglieder des Cantonsgerichts.[5]
4) Die Mitglieder der untern Gerichte.

6. Bis die gesetzgebenden Räthe und das Vollziehungs-Directorium in Thätigkeit sein werden, soll [587] die Verwaltungskammer die völlige gesetzgebende und vollziehende Gewalt, das Cantonsgericht aber die volle gerichtliche Gewalt ausüben.

7. Die für die gesetzgebenden Räthe ernannten Deputirten vereinigen sich ohne Zeitverlust in der Stadt Lucern, wenn dieser Canton unter denjenigen ist, welche sich als unabhängig erklärt haben; wo nicht, in der volkreichsten Stadt oder Ortschaft des Cantons, welcher sich zuerst erklärt hat.

Sobald der dritte Theil der Mitglieder, aus welchen jeder der beiden gesetzgebenden Räthe bestehen soll, beisammen sein wird, werden sie sich als Senat und Großer Rath constituiren.

8. Sobald die beiden Räthe constituirt sind, ernennen sie das Vollziehungs-Directorium.

9. Das Vollziehungs-Directorium ernennt sogleich nach seiner Einsetzung die Minister, die Commissarien der National-Schatzkammer, die Regierungs-Statthalter, den Präsidenten, öffentlichen Ankläger und Schreiber des obersten Gerichtshofes und die Obereinnehmer der Staatseinkünfte.


  1. Da die Vereinigung des deutschen und französischen Textes mit den zugehörigen Varianten, wie ein bezüglicher Versuch gezeigt hat, sich nicht gehörig durchführen ließ, so werden letztere nachträglich gegeben. Deren Vergleichung mit dem Text wird übrigens durch Beifügung der Artikelnnummern und anderer Angaben soweit thunlich erleichtert.
  2. Durch die Einschmelzung mehrerer Cantone wurden diese Zahlbestimmungen hinfällig.
  3. Auch hier ist im Original stehen geblieben le Conseil des deux cent quarante.
  4. Dieser Titel hatte, wie er überhaupt wenig befolgt worden war, nach dem 28. März keine Bedeutung mehr.
  5. Die Wahl des Oberrichters resp. Suppleanten des OGH, scheint hier vergessen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Scan ist ein Stück der Seite abgerissen. Einige Wortteile wurden aus einem pdf bei der Uni Karlsruhe, Seite 115 ergänzt.