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Pagina:Decurtins - Rätoromanische chrestomathie, IX.djvu/10

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XII Einleitung.

Alessandro d’Ancona in Ripafratta gefunden und Nigra mitgeteilt, gibt dieser in seinen: Canti popolari del Piemonte1.

Wie bei den Märchen, so ist es auch bei den Balladen sehr schwer, Eigenes vom Übersetzten auszuscheiden. So war es uns bei einem von Flugi gegebenen Volksliede: „Ad eir üna giuvna sün ün marchio“immer aufgefallen, dass die verlassene Tochter bekennt, sie sei vom treulosen Geliebten verlassen worden, weil ihr Vater ein Hirte, ein Gemeindediener gewesen sei. Der Hirtenstand wurde bei den Rätoromanen nie als ein niedriger Stand angesehen, sondern war dem Bauernstand vollkommen ebenbürtig. In der Version, die Vital gibt, wird der Hirt dem Edelmanne, der eine goldene Kette trägt, gegenübergestellt; dieser Gegensatz zwischen Hirt und Edelmann ist für das Engadin noch unwahrscheinlicher. Der ganz nationale Schluss, nämlich die Berufung auf die schöne Ebene von „las Agnias“, die alte Richtstätte des Engadins, hatten aber unseren Verdacht als einen unbegründeten erscheinen lassen. Zum Glück aber hat sich bei Vital der ursprüngliche Schluss erhalten: „Dieses Lied, das ihr gehört habt, ist gerade hier ohne Schwierigkeit übersetzt worden. Und der es zuerst gesungen hat, der war ein Mann, der schon verheiratet war. Ich nenne ihn nicht, aber ich halte ihn für einen Ehrenmann.“Nach Ton und Haltung glauben wir, die Übersetzung in das 17. Jahrhundert verlegen zu müssen. Aus dem Deutschen übersetzt, erklärt sich die Gegenüberstellung des Hirten und Edelmannes.

Der Einfluss des französischen Liedes auf unser romanisches ist unbestreitbar; weiss doch sogar das surselvische Kinderlied vom Burschen zu erzählen, der nach Frankreich ging, um für den König die Lanze zu führen. Und Campell bezeugt durch ein aufbewahrtes Bruchstück eines Volksliedes, wie schon im 16. Jahrhundert der Engadiner ein französischer Söldner wurde, der vom König als vom „guten Vater“die ausgeteilten Sonnenkronen in Empfang nimmt. So ist das Lied von den drei jungen Tambouren mit dem Refrain: „Ran, ran, rataplan“auf das Original zurückzuführen, das uns Graf de Puymaigre in seiner Sammlung von Volksliedern aus Lothringen aufbewahrt hat und das sich in verschiedenen Varianten in ganz Frankreich2, bei den Piemontesen3 und Katalanen4


  1. In den Anmerkungen zu den Volksliedern, die in Band X erscheinen, geben wir zu einer Anzahl die fremdländischen Originale.
  2. Romancero de Champagne, par M. Tarbé t. II., p. 127. Romania, XIII., 434. Guillon, Chans, pop. de l’Ain, 91. Gérard de Nerval, Les filles du feu, La Bohème galante. Annuaire des trad. pop. II, 46. Mémoires de la Société d’emulation de Cambrai, t. XXVIII, p. 276. E. Rolland, Rec. I., 266. II., 149.
  3. Costantino Nigra, Canti popolari del Piemonte, p. 382 — 385.
  4. F. P. Briz, Consons de la terra, III, 111. Milá, Romancerillo, 175.