Pagina:Decurtins - Rätoromanische chrestomathie, IX.djvu/13

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Einleitung. XIII

Lieder, die wir wie einen düsteren Vögelzug von Weissrussland bis nach Korsika hinunter verfolgen können, finden sich naturgemäss auch im ernsten, einst so einsamen Hochtal und zählen zu den ältesten; es sind die Klagelieder um die Toten. Nicht selten bricht der Schmerz in urwüchsiger Wildheit hervor, aber die Glaubensfestigkeit mildert das herbe Leid.

Den bewährten Führern Grundtwig und Child folgend, haben wir alle uns zugänglichen Varianten eines Liedes vollständig wiedergegeben; denn nur so wird es möglich, das vollständige Material zur Kenntnis eines Liederstoffes und der verschiedenen Bearbeitungen desselben zu geben.

Von den Sprichwörtern haben wir nur jene gegeben, die nach Inhalt oder Form Engadiner Eigengut sind, mit Ausschluss des Übersetzten und Entlehnten. Besondere Aufmerksamkeit haben wir dabei den Rechtssprichwörtern geschenkt, die in reicher Fülle vorhanden sind. Das letztere wird uns nicht überraschen, wenn wir uns daran erinnern, dass der Freiheitskampf der Rätoromanen sich eigentlich zum Kampf um „das eigene Gericht“ zuspitzte.

Dankbar gedenken wir hier unserer Vorgänger, deren Sammlungen wir so reichlich benutzt haben. Es sind Alfons von Flugi, der hochbegabte Dichter, dem es vorbehalten war, mit dem feinsten Sinn und sichersten Takte das Schönste aus dem Garten der romanischen Volkslieder zu einem einzigen Strausse zu binden; der kunstsinnige Dichter Peider Lansel, der die Sammlung Flugis mit sorglicher Hand und begeisteter Liebe fortgesetzt; Andreas Vital, der mit unermüdlichem Sammelfleisse und glücklichstem Erfolge eine unvermutet reiche Garbe vor dem drohenden Untergange gerettet hat. Hier sei auch Florian Grand genannt, dem wir eine zusammenfassende und die Eigenart des romanischen Volksliedes glücklich charakterisierende Studie zu verdanken haben.

Vorliegenden Band widmen wir der Jugend des Engadins und wir hoffen, dass das alte Volkslied hier wie bei so manchem kleinen Volke der Jungbrunnen neuen Lebens werden möge.

Ms. Pont.

Papierhandschrift in fol.°, Format der alten Rechnungsbücher, zählt 18 Blätter, in einem neuen Einbande.

Auf fol. 15b findet sich die Jahreszahl 1728 a 26 Agt Pontresina, auf fol. 18b die Notiz: 30 Agosto Phontrasina Chamsuns mundemas schritas tras me wo el Cherchia Chi Cha Le Chi ais paraint da vo d’ chata.

Enthält Volkslieder und am Schlusse zwei italienische Lieder: Canzoneta sopra il dragon und La resposta del Dragon.

In der Kantonsbibliothek.

Daraus abgedruckt: 2a, 9, 10, 11a, 12a, 16a, 19a und 20.