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meine naturwissenschaftliche erkenntnislehre 235

einnimmt, wie für mich der meinige, dass sich an ihren Leib ebenso besondere Empfindungen, Wünsche, Handlungen knüpfen wie an den meinigen. Ihr Verhalten nötigt mich ferner anzunehmen, dass ihnen mein Leib und die übrigen Körper ebenso unmittelbar gegeben sind wie mir ihr Leib und die andern Körper, dass dagegen meine Erinnerungen, Wünsche u. s. w. für sie ebenso nur erschliessbar sind, wie für mich die ihrigen. Das allen gemeinsam Gegebene nennen wir das Physische, das nur Einem unmittelbar Gegebene, allen andern nur Erschliessbare nennen wir das Psychische. Das nur Einem Gegebene kann man auch das Ich nennen.

Die einfachsten Erfahrungen genügen um die Annahme einer allen gemeinsamen Welt und anderer Ich ausser dem eigenen zu begründen, welche Annahmen sich für das theoretische und praktische Verhalten zunächst gleich vorteilhaft erweisen. Die genauere fortschreitende Erfahrung lehrt aber, dass die Welt uns durchaus nicht so unmittelbar gegeben ist, als es anfangs schien. Um einen Körper zu sehn bedarf es der Gegenwart eines anderen selbstleuchtenden; um einen Körper zu hören, muss derselbe erschüttert werden und diese Erschütterungen müssen unser Ohr erreichen. Das aufnehmende Auge und Ohr muss ferner gesund, funktionsfähig sein. Schon der gewöhnliche Mensch kennt den Einfluss der äusseren Umstände und der Sinnesorgane auf den Eindruck der Welt, welche daher jedem etwas verschieden erscheint. Die wissenschaftliche Erfahrung bestätigt dies, ja sie lehrt sogar, dass die Empfindung (Wahrnehmung) durch das Endglied einer aus der Umgebung ins Zentralorgan reichenden Kette bestimmt ist, welches ausnahmsweise auch ohne äussere Anregung als Halluzination selbständig auftreten kann. In diesem Fall ist eine Berichtigung durch andere Sinne oder auch andere Personen nötig, wenn es sich um ein Urteil handelt, welches wissenschaftlichen, also sozialen Wert haben soll. Die Ueberschätzung dieses Ausnahmefalles führt leicht zu monstreusen idealistischen oder selbst solipsistischen Systemen.

Es wäre sehr sonderbar, wenn die Erfahrung über die Welt durch ihre Verfeinerung sich selbst aufheben und von der Welt selbst nichts als unerreichbare Phantome übrig lassen würde1. In der Tat können wir uns durch eine ge-

  1. «L’Année Psychologique», XII, p. 307.