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96 Gian Peder Gregori, Manfred Gross, Vincenzo Todisco, Marco Trezzini
Die italienischsprachigen Talschaften Graubündens sind von den negativen
Folgen der Zuwanderung Anderssprachiger für die einheimische Sprache und
Kultur weniger stark betroffen als die romanischsprachigen Regionen. Am
besten hält sich das Italienische im Misox und Calanca, die nicht nur sprachlich,
sondern auch wirtschaftlich und kulturell stark zum italienischsprachigen
Tessin hin ausgerichtet sind. Auch das Puschlav orientiert sich sprachlich und
kulturell nach Süden, wirtschaftlich ist es aber, wie auch das Bergell, vor allem
mit dem deutsch- und romanischsprachigen Norden verbunden.
Wer nun aber meint, die deutschsprachigen Regionen Graubündens seien auf
der gesellschaftlichen Ebene einsprachig, liegt falsch. Auch hier sind die Gemeinden
sprachlich durchmischt. Individuell ist aber Einsprachigkeit in
Deutschbünden nach wie vor die Regel. In der Schule ist zwar auch hier eine
Kantonssprache als erste Fremdsprache ab der dritten Klasse – dazu Englisch
ab der fünften Klasse – obligatorisch, ein eigentliches Mehrsprachigkeitsbewusstsein
konnte sich aber (noch) nicht entwickeln.
2.3. Die Bündner Sprachenpolitik
In der Schweiz obliegt die Sprachhoheit den einzelnen Kantonen. Die Gemeinden
und Kreise Graubündens bestimmen ihre Amts- und Schulsprachen
im Rahmen ihrer Zuständigkeit und im Zusammenwirken mit dem Kanton in
eigener Autonomie. In der Kantonsverfassung von 1880 wurden die drei Sprachen
Deutsch, Romanisch und Italienisch erstmals formell als „Landessprachen“
festgelegt und deren Verwendung in der kantonalen Verwaltung, Gesetzgebung
und Rechtsprechung geregelt. Eine der wichtigen Konsequenzen
ist der Grundsatz der Gleichwertigkeit der drei Landessprachen. Dem gesetzlichen
Auftrag zur Erhaltung und Förderung der Minderheitensprachen sowie
zur Verständigung und zum Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften
tragen die Verwaltung, die Rechtsprechung und die Schule in besonderem
Masse Rechnung.
Die Bündner Sprachenpolitik hat mit dem Sprachengesetz und der Sprachverordnung,
die am 1. Januar 2008 in Kraft getreten sind, eine Konkretisierung
erfahren. Das neue Bündner Sprachengesetz ist denn auch ein zeitgemäßes
Gesetz, das der besonderen sprachlichen Situation im Kanton Graubünden
Rechnung trägt. Es gewährleistet die Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen1
und erfüllt die sprachenrechtlichen Ziele und Vorgaben des Verfassungsrechts
von Bund (Art. 18 und 70 BV ) und Kanton (Art. 3 KV ).
6
- ↑ Internationales Recht auf der Grundlage der Charta der Regional- und Minderheitensprachen sowie der Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten.